Im heutigen gesellschaftlichen Diskurs über psychische Erkrankungen gibt es oft den Wunsch, klare Grenzen zu ziehen zwischen dem, was als normal betrachtet werden kann und was nicht. Doch die Frage, was eigentlich normal ist, ist alles andere als einfach zu beantworten – besonders, wenn es um psychische Gesundheit geht.
Zunächst müssen wir uns fragen, wie wir Normalität definieren wollen. Eine Möglichkeit wäre, auf das zu schauen, was die Mehrheit als normal ansieht. Doch hier gibt es zwei Probleme: Erstens gibt es Unterschiede zwischen den verschiedenen Kulturen und Zeiten, was als normal betrachtet wird. Zweitens bedeutet Mehrheit nicht unbedingt, dass es auch richtig ist. Viele Dinge, die in der Vergangenheit als normal betrachtet wurden (zum Beispiel die Sklaverei) werden heute zum Glück nicht mehr als normal angesehen.
Eine alternative Definition von Normalität könnte man darin sehen, dass es Größen gibt, zwischen denen man schwanken kann, ohne dass es als krankhaft gilt. Zum Beispiel gibt es BMI-Tabellen, die aufzeigen, welche Gewichtsklassen als Normalgewicht gelten. Für psychische Erkrankungen gibt es ähnliche Modelle, die zeigen, wann man von einer psychischen Störung sprechen kann. Diese Modelle sind aber auch nicht perfekt – es gibt immer wieder Menschen, die trotz viel Leiden nicht als psychisch gestört eingestuft werden können.
Wir können also festhalten, dass Normalität im Kontext psychischer Erkrankungen ein sehr schwierig fassbares Konzept ist und nicht eindeutig definiert werden kann. Stattdessen ist es wichtiger, die ständigen Veränderungen, Unsicherheiten und Vielfalt des menschlichen Erlebens anzuerkennen und zu akzeptieren. Dabei ist es wichtig, dass jede Person mit ihren eigenen Bedürfnissen und Problemen ernst genommen wird und individuelle Lösungen gefunden werden.
In der Praxis kann das bedeuten, dass wir Menschen mit psychischen Erkrankungen nicht einfach als abweichend von der Normalität abtun, sondern ihre individuellen Bedürfnisse ernst nehmen und ihnen die Unterstützung geben, die sie benötigen. Gleichzeitig sollte auch eine Sensibilisierung für das Thema in der Gesamtgesellschaft stattfinden, damit Vorurteile und Stigmatisierungen abgebaut werden können.
Insgesamt können wir festhalten, dass Normalität im Kontext von psychischen Erkrankungen ein schwieriges und relativierbares Konzept ist. Statt sich auf eine klare Abgrenzung von Normalität und Abweichung zu fokussieren, sollte man eher auf eine offene und flexible Herangehensweise setzen, die die Bedürfnisse und Unterschiedlichkeiten jeder Person ernst nimmt.